Wie gewinnt man neue Kunden bei Google? Durch Adwords, besseres (“sauberes”) SEO als die Konkurrenz oder durch geheime Blackhat-Tricks? Die Frage nach den erfolgreichsten Strategien ist so alt, wie Google selbst und die Marketing-Welt kommt der Beantwortung schrittweise, Jahr um Jahr näher – bis Google dann wieder etwas am Algorithmus ändert und die Suche von neuem beginnt.
Der aktuelle Stand der Dinge scheint allerdings zu bestätigen, was viele Experten bereits häufig vorhergesagt bzw. lautstark bemängelt hatten: Die Höhe des Werbebudgets und die schiere Zahl der verschiedenen, untereinander verlinkten Websites (die oft alle zu einem Anbieter gehören), nimmt immer stärkeren Einfluss auf die Suchergebnisse.
Dies bevorzugt wiederum vor allem die großen Anbieter und deren bezahlte Ads. Kleinere Marketer und Websites, die vor allem von gutem Content und SEO leben, erleiden immer deutlichere Einbußen. So stellt sich die Situation zumindest auf den ersten Blick dar. Das scheint allerdings nur die halbe Wahrheit zu sein.
eCommerce – Studie von Aufgesang Marketing

Anlass für diese Betrachtung war eine Studie von Aufgesang Marketing zum Traffic diverser Online-Shops. Ergebnis: Der Traffic von Adwords hat massiv nachgelassen. Google führte zwar Anfang 2014 die Product Listing Ads (PLAs) in den deutschen Ergebnissen ein, das alleine kann aber wohl kaum den starken Rückgang insgesamt erklären.
Schaut man sich, wie bei Aufgesang geschehen, den Searchmetrics-Visibility Index als Vergleichsgrundlage an, haben zum Beispiel Spielwarenshops in den letzten beiden Jahren fast 90% Sichtbarkeit bei Adwords einbüßen müssen.
Dieser extreme Wert ist zwar ein Ausreißer, in anderen Nischen sieht es weniger schlimm aus – der Trend ist aber der gleiche. Insgesamt verzeichnen Adwords-Anzeigen einen Rückgang von fast 33% bei der Sichtbarkeit.
So haben Fashion-Anbieter auch rund ein Drittel Sichtbarkeit verloren, ebenso Elektro-Händler, was allerdings in der Praxis einige Fragen aufwirft, da auf der anderen Seite die organische Reichweite Jahr für Jahr weiter steigt. Besonders bei den Kategorien Medien, Heimwerker und Büroausstattung ist die organische Sichtbarkeit deutlich höher, als noch 2015.
Nur die halbe Wahrheit?
Auf der anderen Seite stellt sich die Situation in vielen, hart umkämpften Nischen in der Praxis deutlich anders dar. Hier dominieren Adwords und PLAs nach wie vor die Ergebnisse. Unabhängig von eventuellem Traffic-Rückgang, ist die Wahrnehmung (die man nicht unterschätzen sollte), eine andere.
Die Suche nach einem saisonal passenden Artikel, sagen wir “Badeanzug”, liefert mir aktuell diese SERP:

Hier befinden sich im “above the fold” Bereich ganze 12 Ads, von denen 8 aus PLAs bestehen. Das einzig sichtbare, organische Ergebnis, ist der Branchenriese Zalando. Diese Anzahl hängt natürlich immer von der jeweiligen Bildschirmauflösung des Nutzers ab.
Die ursprüngliche Beobachtung, dass Sichtbarkeit durch Adwords bzw. der Traffic über die bezahlten Ads deutlich nachgelassen hat, beißt sich mit den tatsächlichen Ergebnissen. Zwei mögliche Gründe dafür sind:
Stellt sich natürlich die Frage, welcher Mechanismus im Hintergrund für diese Entwicklung verantwortlich ist. Es könnte bloßer Zufall sein, dass ausgerechnet das Fashion-Segment viele Ads beherbergt, während z.B. “Heimwerker” tatsächlich nicht eine Anzeige auf Seite 1 hat – allerdings sieht dies bei Büroausstattung wieder völlig anders aus (4 Ads above the fold), so dass man davon ausgehen kann, dass die bloße Zahl der Ads in einer jeweiligen Nischen kein alleiniger Indikator sein kann.
Entwicklung von Universal Search (PLA)
Searchmetrics, deren Tools die Daten für Aufgesang lieferten, hatten erst vor Kurzem eine eigene Studie veröffentlicht, in welcher die Entwicklung der “Universal Search”, also der Suchergebnisse abseits von “organisch” und Ads näher beleuchtet wurde. Aus der Zusammenfassung:
“Bestanden Google-Suchergebnisse in den Anfangsjahren der Suchmaschine noch in der Auflistung von zehn organischen Ergebnissen, ist dies heute nur noch ein Teil von vielen Komponenten, die auf einer Suchergebnisseite angezeigt werden. Neben bezahlten Anzeigen integriert Google zahlreiche Boxen der „Universal Search“ sowie der „Extended Search“, die Online-Marketer bei entsprechender Optimierung zur Generierung von organischem Traffic über Suchmaschinen nutzen können”
Ein Punkt, der dabei einleitend untersucht wurde, war die durchschnittliche Anzahl von organischen Suchergebnissen in der deutschen Universal Search, also allen Ergebnissen, inklusive Bilder, News, Knowledge Graph und so weiter.
Dabei stellte sich heraus, dass aktuell ca. 8 bis 9 organische Ergebnisse bei Google auf Seite 1 zu finden sind, auf Mobile im Zweifel etwas weniger. Soweit, so gut.
Allerdings lässt diese Betrachtung außen vor, wie viele dieser organischen Ergebnisse denn auch “above the fold”, also direkt für den User sichtbar, auf dem Bildschirm angezeigt werden. Je nach Suchbegriff, verwendetem Device bzw. Auflösung kann sich das auf EIN einziges Ergebnis beschränken, wie man oben sehen kann.

Dies ist vor allem deshalb bemerkenswert, da die Diskussion um “Visibility” und deren Auswirkungen auf Werbepreise in den letzten Jahren besonders intensiv geführt wurde. Viele Netzwerke und Agenturen argumentieren seit Langem, dass man einen Weg finden muss, nur tatsächlich gesehene Ads zu bezahlen, nicht etwa angezeigte.
Dass sich nun dieser Punkt in keiner der beiden Studien explizit findet, hilft bei einer Suche nach den möglichen Gründen nicht unbedingt weiter. Auch bei Google ist man ja vom CPM bei Adwords zum vCPM, also “visible” CPM übergegangen. Selbst wenn hier der oben erwähnte Punkt “garantiert” wird, sind CPC-Kampagnen, bei welchen nur tatsächlich erfolgte Klicks gezählt werden, nach wie vor deutlich beliebter bei vielen Werbeverantwortlichen.
Rein technisch betrachtet stimmt die Aussage “es gibt mindestens 8 organische Ergebnisse pro Seite” natürlich, doch lässt das die Wahrnehmung der User einfach außen vor. Den normalen Kunden interessiert wohl kaum, welcher Channel jetzt mit welcher Strategie und welchem Budget vom Advertiser genutzt wird – im Endeffekt ist alles “Werbung”.
Mögliche Hintergründe
Da ich weder die Daten von Searchmetrics anzweifeln, noch meine eigene Erfahrung ausblenden möchte, muss ich davon ausgehen, dass beides zutrifft: Der Traffic von Adwords ist eingebrochen, dennoch gibt es viele Nischen, in denen immer noch sehr viele Anzeigen geschaltet werden und teilweise nur ein organisches Ergebnis im sichtbaren Bereich zu finden ist. Wie passt das zusammen?
Ein möglicher Grund ist die schon oft angesprochene Konsolidierung im Marketingbereich. Branchenübergreifend mag der Traffic zurückgegangen sein, allerdings schalten nun große Kunden gleich mehrere Anzeigen pro Seite (besonders PLAs), so dass kleinere Anbieter aufgrund der Adwords-Preise automatisch ausgeschlossen werden – was offensichtlich einem Rückgang gleichkommen würde.

Inwiefern jetzt Budgetkürzungen, Kampagnen-Strategie oder Google-Updates für die einzelnen Datenpunkte verantwortlich sind, wurde leider auch in der Studie von Aufgesang Marketing nicht näher erläutert.
Tl;dr
Letztendlich stehen SEOs und Googles Werbekunden vor einer Situation, die sich wie folgt darstellt:
Welchen Einfluss “klassisches” SEO und guter Content in solch einer Situation haben, lässt sich von außen leider nicht feststellen. Google selbst betont ja seit längerem, dass man dort versuchen würde, vor allem “gute” Websites auf die ersten Plätze zu befördern – was allerdings durch die Praxis in vielen Beispielen widerlegt wird. Verwirrend.
Ergänzung: Account Health Score und Best Practices
Etwas unter meinem Radar, allerdings aufgeschnappt und anschaulich erläutert in der SEA-Auslese von Johannes bei Projecter , hatte Google letzten Monat den “Account Health Score” für Adwords-Konten vorgestellt. Dieser Wert gibt in % an, wie “gesund” eine Kampagne bzw. wie erfolgversprechend diese ist.

Das neue Feature bietet nicht nur einen %-Wert zur Orientierung, sondern auch gleich eine Reihe von Vorschlägen, wie man diesen weiter nach oben bringen, also eine Kampagne optimieren kann. In Anbetracht der Tatsache, dass nicht mehr alle Webmaster-Tools völlig “kostenfrei” sind, ist diese zusätzliche Info natürlich erfreulich – doch das nur am Rande.
Viel wichtiger ist die Tatsache, dass sich durch solche Features viele SEA Best Practices verbreiten. Dieses ist natürlich für den Endkunden sehr attraktiv, da der Service besser und gleichzeitig preiswerter wird. Allerdings verschärft so etwas natürlich erneut die Konkurrenz, je nach Vertical, sogar recht stark. Ich hatte vor einigen Jahren einmal im 100pp-Blog anhand von Online-Poker erläutert, warum eine derartig schnelle und offene Verbreitung von Best Practices über kurz oder lang zum Problem für alle Beteiligten wird – alle, außer dem Veranstalter. In diesem Falle Google.
Fazit
Man kann festhalten: Es ist definitiv nicht leichter geworden, auf Seite 1 der Suchergebnisse zu landen – egal in welcher Branche. Darüber hinaus geht die Reichweite von kostenpflichtigen Ads weiter zurück, wodurch die Situation noch einmal verschärft wird. Auf der anderen Seite bietet Google allerdings immer mehr Möglichkeiten, auch außerhalb von Ads auf der ersten Seite zu erscheinen: Bildsuche, Knowledge-Graph, Video oder Info-Boxen erlauben es gutem Content und Seiten mit echtem Mehrwert, auch ganz ohne Budget vorne zu landen. Dass dies im Hintergrund natürlich trotzdem Kosten verursacht, ist klar. Bleibt abzuwarten, wie stark sich die Situation verändert, falls Google ein anderes, evtl. 3-spaltiges Layout einführt, wie in manchen Tests bereits geschehen.